Leseprobe – Der Weg – dieser Augenblick

Nun hieß es wieder einmal packen für mich. Wie ich das hasse! Vor allem für solche Gelegenheiten. Diana kam pünktlich um 11 Uhr zu mir, gemeinsam fuhren wir nach Heidelberg in die Kopfklinik. Die Anmeldung erfolgte sehr rasch und freundlich wurde ich auf der neurochirurgischen Station empfangen. Eine junge Bettnachbarin war da, die jedoch ein paar Stunden später entlassen wurde. Diana blieb bei mir bis nach 14 Uhr. Wie tat das gut. Wir plauderten über alles Mögliche – das lenkte gut ab. Auf der Fahrt wurde mir erneut stark übel, das legte sich jedoch (zum Glück) wieder. Plötzlich stand Ricarda bei mir im Zimmer. In neun Jahren immer wieder in dieser Klinik. Und Ricarda stets bei mir. Ich wusste dies himmlisch zu schätzen. Eine junge Assistenzärztin kam und teilte mir mit, dass ich für Mittwoch, den 06.05. als Letzte auf dem OP-Plan stünde. Da könnte es durchaus 16 Uhr werden. Nun gut, wann war mir egal, Hauptsache es geschah überhaupt. Es wurde Zeit, denn trotz Stimi war ich nie schmerzfrei, jedoch erheblich gemindert, zumindest für mein rechtes Bein. Da Thomas abends Probe hatte, sollte es zum ersten Mal sein, dass ich ihn vor einer OP nicht mehr sah. Ich gönnte ihm etwas Ruhe nach der Arbeit. Wichtig war mir sein Besuch am OP-Tag. Beate meldete sich per SMS an und wollte mir den Abend versüßen. Fand ich total lieb von ihr und freute mich riesig auf ihren Besuch. Meine Ärztin kam zur OP-Aufklärung. Da mein dritter Stimi implantiert werden sollte, war soweit alles klar. Dann unterhielten wir uns. Ich berichtete ihr von meinem Buch und wir hatten ein anregendes Gespräch. Die Arme, in der heutigen Zeit war es nicht einfach Klinikärztin zu sein, mit vielen unbezahlten Überstunden. Aber sie war mir unglaublich sympathisch und ich fand es sehr spannend, nun endlich mal von einer Frau operiert zu werden. Außerdem war ich mehr als beruhigt,denn diese Frau genoss mein vollstes Vertrauen.
Ich las, hörte Musik, die Kids riefen an und schon gab es Abendbrot. Kurz darauf klopfte es und Beate kam herein geschlendert. Die Begrüßung war herzerfrischend. Sie brachte mir ein Büchlein mit „Lebe Deine Träume“, ja, das tat ich mit vollstem Herzblut mit meinem Buch. Da auch ein Foto von New York vorhanden war, Beate eine Kamera dabei hatte, positionierte sie diese unterpolstert auf den Tisch, stellte den Selbstauslöser an und flitzte wieder zu mir. Gemeinsam drapierten wir uns auf dem Bett,sichtbar die Freiheitsstatue in unseren Händen haltend. Zack, es blitzte. Humorvoll meinte Beate,dass sie dies am nächsten Tag per Mail zu Annette senden würde. In einem Monat und vier Tagen war es nämlich soweit. New York, wir kommen! Wie kleine Kinder freuten wir uns. Noch ein paar Schritte,langsam, taten recht gut. Wir holten aus Beate’s Auto ihr Laptop,begaben uns abermals aufs Krankenbett und schauten viele,viele Fotos an, während wir angeregt dabei plauderten. Eine große Leidenschaft, die wir beide teilen. Wir können stundenlang Fotos anschauen. Erst gegen 22 Uhr verabschiedete sich meine Freundin Beate, sie hatte es sehr wohl erreicht, mir den Abend zu verkürzen und wohlig fühlen zu lassen. Ich las noch ein wenig. Thomas rief mich nach seiner Probe an und es tat gut,seine Stimme gehört zu haben.

[…]

Dienstag, der 27.Oktober 2009: Lavinia´s letzter Tag in diesem Jahr bei uns. Selbst ich blieb etwas länger liegen,aber Thomas musste arbeiten. Gegen 8 Uhr jedoch meckerte ordentlich mein Rücken, sodass ich nach einer Tasse Kaffee mit meinen heißgeliebten Übungen begann. Diese sind für mich keinerlei Extravaganzen,sondern lebenswichtige, schmerzlindernde Massnahmen. Die Kids schliefen beide noch selig.Ich fuhr bereits meine erste Runde zur Post, als ich zurück kam, waren beide wach. Lavinia ging abermals mit zum Einkaufen-sie wünschte sich als Abschlussessen mit den Eltern Lasagne (vegetarische und „echte“). Ihr Wunsch war mir Befehl. Gerne erfüllte ich ihr all die kleinen Dinge, die sie liebte und so bald nicht mehr bekäme. Es würden dann sicherlich ganz andere wunderbare, neuartige Dinge in ihr Leben treten. Nach dem Einkauf kuschelten wir uns gemeinsam mit Lenni auf die Couch und schauten eine Folge „Grey´s Anatomy“ an. OP´s am offenen Herzen, genau das Richtige für uns. Das war unsere Sendung, die wir Frauen immer mal wieder ansahen. Danach fuhr ich sie in den Stall – zum letzten Mal, Förderstunde. In der Zwischenzeit begann ich meine Soßen vorzubereiten, natürlich in unserem Thermomix „Antonio“. Später holte ich sie wieder ab, während Thomas die Eltern auf dem Rückweg vom Büro einsammelte. So sassen wir schließlich alle gemeinsam am Tisch. Es war ein schöner familiärer Abschluss. Es klingelte und plötzlich stand Bettina da, drückte Lavinia ein letztes Mal und war auch schon wieder weg. Der Abschied mit den Eltern verlief wesentlich besser als ich befürchtete. Der letzte Abend- die letzte Nacht.
5.15 Uhr aufstehen, wir vier fuhren zum Flughafen. Ich saß mit meiner Tochter hinten im Auto und wir hielten unsere Hände – schweigend verstanden wir uns. Gedanklich ließ ich sie ganz los, damit sie mit einem positiven Gefühl der Zustimmung abreisen konnte. Das war enorm wichtig für sie und wir beide sind so seelenverbunden, dass sie genau das spürte.

[…]

Die darauffolgenden zwei Tage ging es Lavinia sehr schlecht. Ich versorgte sie mit frischem Obst, heißer Zitrone, heißer Milch mit Honig und war einfach viel bei ihr. Gemeinsam lagen wir, so oft es mir zeitlich reichte, im warmen Wasserbett. Am 13.Oktober 2010 kam Carlos Santana in die SAP-Arena nach Mannheim. Und wir zwei waren dabei! Ein Ausnahmemusiker präsentierte vom Feinsten. In einem Interview stand, dass Santana auf der Gitarre spazieren ging. Ein genialer Musiker und ein obercooles Konzert. Positive Momente verschaffen – dies gelang uns absolut an jenem Abend. Vor über zwanzig Jahren waren wir zum ersten gemeinsamen Konzert. Dies verdankte ich meinem Mann, der diesbezüglich fast immer die treibende Kraft war. Eng umschlungen trällernd schlenderten wir gemütlich gemeinsam zum Auto. Lenni war bereits acht Wochen operiert und hatte immer noch eine Krücke. Immer wieder musste er sich nicht gerade erfreulichen Dingen stellen. Schade. Es tat nicht nur ihm weh. Dauernd wurde er gewertet und beurteilt. Als wüssten diese Menschen die medizinischen Hintergründe. Aber brauchten sie diese? Die Gehstütze war doch keine Zierde, oder? So bekam er in der Schule gesagt, dass er doch nun die Treppen laufen können sollte. Unglaublich. Nach drei Tagen packte ich abends Lavinia ein und wir fuhren in den Stall zu Winnie – Kraft tanken. Bisher kümmerte sich ihre Reitbeteiligung Kati sehr liebevoll und höchst zuverlässig, verantwortungsbewusst um ihn. In ihr hatte Lavinia großes Glück. Oh, wie freute sich Winnie. Lavinia nicht minder. Er tat einfach nur gut – ER wertete niemals! Er gab so viel und zwar bedingungslos.